Anmerkungen zur Geschichte der Wohnungslosenhilfe
Wohnungslosenhilfe in Österreich geht auf Entwicklungen und Initiativen zurück, die in den 1970er Jahren eingeleitet und seither Schritt für Schritt professionalisiert werden konnten. Damals hat sich eine Haltung durchgesetzt, wonach Wohnungslosigkeit keine ordnungspolitische Herausforderung, welche mittels Strafe und Sanktion bereinigt werden müsste, sondern eine Agenda der sozialen Arbeit darstellt. Danach gilt es, durch Beratung und Betreuung einerseits die individuellen Ursachen für Wohnungslosigkeit und anderseits durch Vermittlung und Begleitung die strukturellen Hürden zu bewältigen, die einem offenen Zugang zu sozialer und Wohnsicherheit entgegenstehen. Auf dieser ideellen Grundlage konnten in den vergangenen Jahrzehnten differenzierte Angebote und Einrichtungen etabliert werden, die jedoch nahezu ausschließlich im Bereich der größeren Städte angesiedelt sind.
Ein aufwändiges Forschungsprojekt von Helix, im Auftrag der BAWO und finanziert durch das BMASK, befasste sich mit der österreichweiten Analyse von quantitativen und qualitativen Aspekten von Wohnungslosigkeit sowie der Vorsorgen der Wohnungslosenhilfe.
Nähere Informationen zu Wohnungslosigkeit und Wohnungslosenhilfe finden Sie hier.
Wohnungsnot, Wohnungslosigkeit und Wohnungslosenhilfe
Im Zuge der Professionalisierung der WLH hat sich auch eine differenzierte Begrifflichkeit durchgesetzt. So wurde der ursprüngliche Begriff der Nichtsesshaftigkeit schlicht abgeschafft, weil dieser Begriff ein Verständnis von Wohnungslosigkeit als Krankheit bzw. als defizitäres Persönlichkeitsmerkmal unterstellt. Demgegenüber ist es – auch für die Entwicklung von Strategien zur Bewältigung respektive zur Beendigung von Wohnungslosigkeit – unabdingbar, gleichermaßen die individuellen als auch die strukturellen Ursachen in den Blick zu nehmen.
In einem Sammelband der BAWO (Red. Heinz Schoibl) werden die wichtigsten Begriffe zum gesellschaftlichen Skandal Wohnungslosigkeit und zu den methodischen Ansätzen der Wohnungslosenhilfe detailliert vor- und zur Diskussion gestellt. Das Downloadangebot finden Sie hier.
Wohnungslosigkeit ist eine mehrdimensionale Bedarfslage
Der Blick auf diese Besonderheiten von Wohnungslosigkeit macht auch deutlich, dass die Bedarfslagen von wohnungslosen Menschen / Haushalten in der Regel ausgesprochen komplex sind. Entsprechende Mangelerfahrungen und existenzielle Krisen dieser Form der sozialen Ausgrenzung umfassen gleichermaßen strukturelle Faktoren wie ein unzureichendes Erwerbs- oder Transfereinkommen und Aspekte der Wohnungsnot (Mietschulden, Delogierungsverfahren, prekäres Wohnverhältnis etc.) sowie individuelle Problemlagen wie Krankheit, Behinderung, Scheidung, Sucht etc.
Aus dem Zusammentreffen struktureller Defizitlagen und individueller Belastungsfaktoren ergibt sich in der Folge ein Ursachenbündel, das in Hilflosigkeit mündet und einen Bedarf nach professionellen Hilfen konstituiert. Wohnungslosigkeit entsteht aus einer Dynamik, die aus einer mehr / minder temporären Wohnversorgungskrise (z.B. steht im Gefolge einer Scheidung nur zu oft die Wohnversorgung beider PartnerInnen in Frage) in der Kombination mit weiteren Armutsfolgen soziale Ausgrenzung nach sich zieht. Ausgangspunkt für die Planung und Gestaltung von Intervention und Hilfe zur Bewältigung von Wohnungslosigkeit ist mithin ein Verständnis der Bedarfslagen betroffener Menschen, wonach Wohnungslosigkeit nicht unabhängig von Armut und Ausgrenzung auftritt.
In Ermangelung einer bundesgesetzlichen Grundlage, z.B. in Form eines Bundeswohnungslosenhilfe-Gesetzes, finden sich in Österreich je nach Land oder Stadt höchst unterschiedliche Vorsorgen für Prävention und Bewältigung von Wohnungslosigkeit sowie für Rehabitation (d.h. die Wiedereingliederung in die Main-Stream-Wohnversorgung. Die Länder-Profile der Wohnungslosenhilfe sind hier aufbereitet und zum Download bereitgestellt.
Dreieinigkeit aus Armut, Ausgrenzung und Wohnungslosigkeit
Armut, Ausgrenzung und Wohnungslosigkeit bedingen und verstärken sich wechselseitig. Armut erweist sich im Zusammenhang mit Wohnungslosigkeit und Ausgrenzung als dynamisch und kumulativ, expansiv und raumgreifend. In weiterer Folge führt eine Chronifizierung von Armut dazu, dass diese mit fortschreitender Dauer sämtliche Bereiche des persönlichen Lebens (Bildung, Gesundheit, gesellschaftliche und demokratische Teil-habe, soziokulturelle Integration etc.) erfasst, sich so als nachhaltig erweist und nur zu oft bis in die nächste Generation reicht.
Die Bekämpfung von Wohnungslosigkeit ist nur in einem engen Konnex mit Maßnahmen gegen Armut und Ausgrenzung möglich und erfordert eine enge Verschränkung der relevanten Politikfelder, insbesondere von Sozial- und Wohnpolitik. Schlaglichter auf die Komplexität von Problemlagen und erforderlichem Hilfesetting finden Sie hier.
Hilfe so frühzeitig und so kurz als möglich, aber so lange als nötig
Bereits früh hat sich in der Wohnungslosenhilfe der Grundsatz etabliert, wonach die Dauer des Aufenthalts in Wohnungslosigkeit sowie in Einrichtungen der WLH so kurz als möglich gestaltet werden sollte. Im Sinne einer effektiven Hilfestellung ist zudem danach zu trachten, die Dauer der Hilfe bedarfsentsprechend zu gewähren und – sofern nötig – auch nach einer Vermittlung in eigenständige Wohn- und Lebensformen die Rehabitation vordem Wohnungsloser durch nachgehende, aufsuchende und begleitende Hilfen abzusichern.
Rahmenbedingungen und Ressourcen der Wohnungslosenhilfe
Das System der WLH steht und fällt gleichermaßen mit der Verfügbarkeit leistbarer Wohnungen sowie den Kapazitäten für individuelle Beratung und Betreuung der hilfesuchenden Menschen. In der Geschichte der WLH in Österreich (Salzburg ist diesbezüglich keine Ausnahme) kann festgestellt werden, dass die Kapazitäten für die individuelle Beratung und Betreuung in den vergangenen Jahrzehnten stetig ausgebaut werden konnten. Tatsächlich haben sich jedoch die Verfügbarkeit leistbarer Wohnungen und damit die Möglichkeit für die Vermittlung wohnungsloser Personen in eigenständige Wohn- und Lebensformen fortschreitend verschlechtert. WLH wird unter diesen Vorzeichen verstärkt zu einem Angebot der psycho-sozialen Versorgung und auf Aspekte der Einzelfallarbeit während mehr / minder ausgedehnter Phasen der Wohnungslosigkeit respektive des Aufenthalts in der WLH verwiesen.
Unter dem Vorzeichen des Mangels an leistbaren Wohnungen ist die WLH mit Konkurrenz um die wenigen Wohnplätze und Ressourcen konfrontiert, die auch in den inneren Bereich der verfügbaren Wohnbetreuungsplätze reicht. Das führt u.a. auch dazu, dass die KlientInnen insbesondere in Hinblick auf ihre Perspektiven einer Weitervermittlung in eigenständige Wohn- und Lebensformen veranlasst werden, sich als „wohnfähig“ zu erweisen. Die WLH gerät ihrerseits in die Situation, ihre KlientInnen „wohnfähig“ zu machen und so auf die individuelle Seite des Problemzusammenhangs Wohnungslosigkeit zu fokussieren.
Gerade mit Blick auf die strukturellen Aspekte des Problemzusammenhangs Wohnungslosigkeit erscheint es für die Zukunft der WLH unabdingbar, aus dem Eck der Sozialpolitik herauszukommen sowie zu gewährleisten, dass sozial- und wohnpolitische Instrumente aufeinander abgestimmt und gewissermaßen verschränkt werden. Das betrifft in erster Linie die wechselseitige Abstimmung von Wohn- und Sozialpolitik, in zweiter Linie die Gewährleistung von Schnittstellenmanagement und den systematischen Schutz vor Wohnungslosigkeit am Übergang von einem Leistungsbereich (z.B. Gesundheit oder Justiz) in einen anderen (z.B. Bedarfsorientierte Mindestsicherung).
Es ist ein vordringliches Gebot, Zugang zu leistbarem Wohnraum zu sichern, um dem Risiko der Kumulation aus Armut, Ausgrenzung und Wohnungslosigkeit vorzubeugen.
Grundzüge einer modernen Wohnungslosenhilfe
Prävention : Die Hilfsangebote sind dort zu setzen, wo Wohnungslosigkeit entsteht; wichtig ist in diesem Zusammenhang die Gewährleistung einer Rechtsstellung der Wohnungslosenhilfe in den entsprechenden Verfahren, rechtzeitige Information der Präventionsstelle über anstehende Delogierungsverfahren, Start der Beratung möglichst vor der Einreichung der Klage bei Gericht, spätestens jedoch bei Beginn der gerichtlichen Verfahren.
Vernetzung: Die bestehenden Hilfestrukturen sind im regionalen Konnex aufeinander abzustimmen. Insbesondere gilt es, den Aufgabenrahmen bestehender Einrichtungen im örtlichen Rahmen durch fachliche Eckpfeiler der Prävention von Wohnungslosigkeit, zielgruppenspezifische Angebote von Beratung und Existenzsicherung, Bewältigung von Wohnungslosigkeit und Begleitung in selbstbestimmte Wohn- und Lebensformen
Schnittstellenmanagement und zum Schutz vor Wohnungslosigkeit zu erweitern.
Aufbau von Kooperationsstrukturen: Um einer Entlassung in Wohnungslosigkeit bzw. in Substandard-Hilfestrukturen (z.B.: Billigpensionen, prekäre Wohnformen etc.) vermeiden zu können (eine Dauerunterbringung in einer Jugendherberge / einem Pensionszimmer / einer Notschlafstelle ist keine adäquate Fortsetzung z.B. einer stationären Psychiatrie-Behandlung)
Zugang zu leistbarem Wohnraum: Bewältigung von Wohnungsnot und -losigkeit benötigt in jedem Fall strukturelle Abfederung im wohnpolitischen Kontext. Deshalb steht der Aufbau von Kooperationsstrukturen und die Gewährleistung von Mitwirkung bei der Vergabe leistbarer Wohnungen im Zielrahmen einer Wohnungslosenhilfe, die auf eine Beendigung von Wohnungslosigkeit abzielt.