Armut, Ausgrenzung und Wohnungsnot

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In den ersten Jahrzehnten nach dem 2. Weltkrieg konnten auch in Österreich große Fortschritte in der Bekämpfung und Bewältigung von Armutslagen realisiert werden. Die Ausbreitung von Wohlstand wurde durch einen Ausbau der Systeme der sozialen Sicherheit sowie der sozialen Infrastruktur begleitet, womit sichergestellt werden sollte, dass auch Personen gesichert werden konnten, welche aus unterschiedlichen Gründen an der gesellschaftlichen Teilhabe, an Erwerbstätigkeit etc. nicht gleichwertig teilhaben konnten. Innovative Ansätze der Sozialen Arbeit, der Integration von Personen mit Migrationshintergrund, der Inklusion und Gleichbehandlung von Personen mit körperlichen und/oder geistigen Behinderungen konnten in den Jahren zwischen 1970 – 1990 entwickelt und implementiert werden. Der begleitenden angewandten Sozialforschung kam in diesem Kontext eine wichtige Rolle zu.

ARMUT IM WOHLSTAND
Unter den Vorzeichen von weit verbreitetem gesellschaftlichem Wohlstand ist zu beachten, dass damit auch soziale und gemeinschaftliche Strategien der Armutsbewältigung bzw. eines Überlebens in Armutsverhältnissen an Bedeutung und Wirksamkeit verlieren. So wie sich in diesem Kontext die Armutserfahrung individualisiert, so sind unter diesen Vorzeichen auch individuelle Strategien der Armutsbewältigung bzw. des Überlebens in Armut von zunehmender Bedeutung. Dementsprechend ist zu beachten dass neben strukturellen Ursachen für die Entwicklung von Armut zunehmend auch subjektive Ursachen(Bündel) treten, die bei gesellschaftlichen Strategien der sozialen Sicherheit berücksichtigt werden müssen. In diesem Sinne ist festzuhalten, dass Armut wesentlich aus einem dynamischen Gefüge von subjektiven und strukturellen Ursachen entsteht, dass Armut umso mehr schambesetzt wird, als diese als individuelles Versagen interpretiert und erlebt wird, dass Armut im Wohlstand zu hohen Anteilen als verdeckte Armut auftritt, sich also einer gesellschaftlichen Sichtbarkeit entzieht.

 regionaler Armutsbericht für das Bundesland Salzburg
 regionaler Armutsbericht für das Bundesland Tirol
 Armut, Ausgrenzung und Wohnungslosigkeit – Anmerkungen zur Qualität der vorliegenden Daten
 Armut im Wohlstand ist verdeckte Armut

• Links zu: Armutskonferenz Österreich und Salzburg

ARMUTSMIGRATION UND BETTELVERBOT
Betteln war in Österreich bis zum Jahr 1974 strafrechtlich verboten. Im Rahmen einer großen Strafrechtsreform 1974 wurde Betteln straffrei gestellt. Danach wurden in einzelnen ÖVP-geführten Bundesländern Sicherheitsbedenken laut, regionale Sicherheitsenqueten durch¬geführt und in deren Folge, z.B. in Salzburg im Jahr 1977, in den Landespolizei- oder Landessicherheitsgesetzen Bettel- und Vagabundageverbote implementiert. Seit etwa 1977 sind in nahezu allen regionalen Sicherheitsgesetzen Bettelverbote verankert. Lediglich im Burgenland findet sich (Ausnahme: Eisenstadt) keine entsprechende Verordnung.

NEUE ARMUT UND OBDACHLOSIGKEIT
Die Tatsache, dass seit einigen Jahren regelmäßig verarmte bis verelendete Menschen aus Südost-Europa, mehrheitlich handelt es sich dabei um Angehörige der Volksgruppe der Roma, in die österreichischen Städte ziehen, um hier mittels Betteln, Taglöhner-Jobs und / oder Straßenzeitungsverkauf die finanziellen Mittel zur Sicherung ihrer Familien zu lukrieren, stellt einen wichtigen Aufreger für die kommunale und regionale Politik dar. Damit sind die ÖsterreicherInnen nun mit Menschen konfrontiert, die aus bittersten Armutsverhältnissen kommen, ihre Armut öffentlich machen und mehr / minder forciert Hilfe für sich und für ihre Familien erbetteln.
Tatsächlich sind ArmutsmigrantInnen und Notreisende, die sich zumeist jeweils temporär in österreichischen Städten aufhalten, nach wie vor keine Zielgruppe für sozialpolitische Maßnahmen. Stattdessen werden sie im öffentlichen Diskurs vorwiegend als Sicherheitsproblem gesehen und vom Boulevard offen diskriminiert.

• Links zu: Bettellobby und Plattform Menschenrechte Sbg

NOTREISENDE IN SALZBURG – NEUE ZUWANDERUNG UND OBDACHLOSIGKEIT
„Das war’s dann. Ich bin schon alt, ich bin nicht gesund. Alles fällt mir schon schwer, aber ich sehe nicht, wie sich das ändern könnte. Nein, das wird wohl so bleiben bis zum Schluss.“ (Roma, männlich, 66 Jahre alt, Slowakei)
So beschreibt PE seine aktuellen Perspektiven, Zuhause gibt es nichts zu essen und er hat keine Chance, dass sich in den nächsten Jahren daran was ändert. Deshalb kommt er regelmäßig nach Salzburg, um hier zu betteln und anschließend mit dem Notgroschen wieder heimzufahren, bis das Geld wieder ausgegangen ist und er wieder kommen muss – solange ihm das eben möglich ist. Aber PE ist nicht der Einzige. Jahr für Jahr kommen ca. 1.350 Menschen aus Südosteuropa nach Salzburg, halten sich hier durchschnittlich drei – vier Wochen auf, betteln oder arbeiten (unangemeldet und für einen Hungerlohn) oder machen auf der Straße Musik. Ihr Leben findet auf der Straße / im öffentlichen Raum statt – unter höchst unwürdigen und letztlich gesundheitsschädlichen Rahmenbedingungen – bei Regen, Wind und Kälte – ohne Privatsphäre und ohne Möglichkeit, sich zu waschen oder die Bekleidung zu reinigen bzw. ZU pflegen.

Im Zeitraum Februar bis Mai 2013 konnten mehr als 170 Interviews in der Muttersprache der Notreisenden durchgeführt und auf der Grundlage der gewonnenen Erkenntnisse Maßnahmenvorschläge zur planmäßigen Hilfestellung bei der Bewältigung der existenzgefährdenden Notlage erarbeitet werden.

• Not-Reisen_und_Bettel-Migration_Bericht_131001.pdf
• Not-Reisen_und_Bettel-Migration_Kurzfassung_131001.pdf

WOHNUNGSLOSIGKEIT UND WOHNUNGSLOSENHILFE
Nach insgesamt zehn Jahren in der praktischen Wohnungslosenhilfe (leitende Mitarbeit im Verein Treffpunkt, Salzburg) haben Agenden und Problemstellungen rund um Wohnungsnot, Ausgrenzung und Wohnungslosigkeit auch im anschließenden Engagement in der angewandten Sozialforschung einen Tätigkeitsschwerpunkt gebildet und in einer Reihe von Forschungsarbeiten sowie Publikationen ihren Ausdruck gefunden. Allem voran sind in den vergangenen Jahren folgende Arbeiten entstanden.

• Links zu: BAWO und FEANTSA

BAWO (HG.), WOHNUNGSLOSENHILFE VON A BIS Z, WIEN 2011
ExpertInnen aus Wissenschaft und Praxis der WLH haben in diesem Sammelband das KnowHow zur Wohnungslosenhilfe in Österreich zusammengetragen und in einer Reihe von kurzen Beiträgen für EinsteigerInnen in das Feld der WLH sowie für das interessierte Publikum aufbereitet. Die redaktionelle Bearbeitung wurde von Heinz Schoibl wahrgenommen.
Die Publikation, die bei Fest zum 20jährigen Bestehen der BAWO öffentlich präsentiert wurde, kann auf der Homepage der BAWO (office(at)bawo.at) kostenlos heruntergeladen werden.

BAWO (HG.), WOHNUNGSLOSENHILFE VON OST BIS WEST, WIEN 2013
Mit reichhaltiger Unterstützung durch MitarbeiterInnen der Wohnungslosenhilfe (WLH) in den österreichischen Bundesländern wurden im Auftrag der BAWO die rechtlichen und administrativen Vorsorgen für die Prävention sowie für die Bekämpfung und Beendigung von Wohnungslosigkeit erhoben und vergleichend aufbereitet. Die redaktionelle Verantwortung lag bei Heinz Schoibl, Helix. Damit konnte ein einmaliger aktueller Überblick über die länderspezifisch unterschiedliche Situation der WLH in Österreich vorgelegt werden.
Zentraler Befund: Zugang zu leistbaren Wohnungen, aber auch der Zugang zu Hilfe bei der Bewältigung von Wohnungsnot und Wohnungslosigkeit sind von Bundesland zu Bundesland unterschiedlich geregelt, die Chancen auf eine Bewältigung von Wohnungsnot bzw. Wohnungslosigkeit sind abhängig vom Wohnort.
Die Publikation kann in gedruckter Form im Büro der BAWO (office(at)bawo.at) bestellt werden und kostet 15,00 EURO.

QUALITATIVE ASPEKTE DER BEDARFSSITUATION WOHNUNGSLOSER SALZBURGERINNEN

Nach wiederholten Antragstellungen ist es dem Forum Wohnungslosenhilfe gelungen, die Sozial- und Wohnbauressorts des Landes Salzburg für die Finanzierung einer Studie zu „qualitativen Aspekten der Bedarfslage wohnungsloser SalzburgerInnen“ zu gewinnen. Die Salzburger Landesstelle des Verbandes der Gemeinnützigen Wohnbauträger hat die Studie finanziell unterstützt. Im Mittelpunkt dieser Studie, die von Heinz Schoibl in enger Kooperation mit den MitarbeiterInnen der Salzburger WLH-Einrichtungen erarbeitet wurde, stehen eine Bedarfsanalyse wohnungsloser SalzburgerInnen, für die insgesamt 100 anonymisierte Betreuungsverlaufsdokumentationen vergleichend aufbereitet und darauf aufbauende Wirkungsanalysen der Salzburger WLH durchgeführt wurden.

Diese Bedarfs- und Wirkungsanalyse ist Grundlage für einen Maßnahmenkatalog, der einen Ausbau niederschwelliger Kontakt- und Einstiegsmöglichkeiten, eine Verbesserung der WLH-Kompetenzen zur Vermittlung in adäquaten Wohnraum sowie eine Neuorganisation der Schnittstellen zwischen den unterschiedlichen Hilfesegmenten einfordert. Insbesondere wird vorgeschlagen, Arbeitsansätze des „Housing first – plus“ als ergänzende Vorsorge im Kontext der Salzburger WLH einzuführen.
wl_wlh_in_sbg_-_kurzfassung.pdf
qualitative_Aspekte_der_Bedarfslage_wohnungsloser_SalzburgerInnen_20110415.docx