Sozialwissenschaftliche Untersuchungen haben es vor dem Hintergrund des öffentlichen Diskurses über Betteln, Bettelbanden und organisierte Bettelmigration sehr schwer, Argumente und Erkenntnisse in die öffentliche sowie veröffentlichte Diskussion einzubringen und rationale Grundlagen einzubringen. Da hier nicht ausreichend Platz gegeben ist für den empirischen Erkenntnisstand, finden sich anschließend ein paar Stichworte zum aktuellen Stand der Entwicklung:
• Überwiegend handelt es sich um BewohnerInnen ländlicher Regionen in Südost-Europa, u.a. Rumänien, Slowakei und Bulgarien; viele davon gehören zur Volksgruppe der Roma/Romnija
• Die ländlichen Regionen Südosteuropas sind sehr strukturschwach, die Arbeitslosigkeit ist hoch, die Sozialsysteme in der Regel nicht bedarfsdeckend. In besonderem Ausmaß sind ethnische Randgruppe wie Romnija von Arbeitslosigkeit und Ausgrenzung betroffen. Menschen in Langzeitarbeitslosigkeit sind kaum bis nicht in der Lage, mit den Transferleistungen ihre Wohnkosten abzudecken bzw. ihre Familien zu ernähren.
• Insgesamt geht die Zahl der notleidenden Menschen in diesen Regionen in die Zigtausende. Erfahrungsgemäß ist jedoch nur ein kleiner Teil der Armutsbetroffenen in der Lage, die Anstrengungen der Armutsmigration zu bewältigen, sodass in der Regel jeweils nur einzelne Familienangehörige sich temporär auf den Weg machen.
Erhebungen in Graz, Salzburg und Vorarlberg legen nahe, dass es sich um mehr / minder kleine Gruppen handelt, die sich jeweils kurz- bis mittelfristig in diesen Städten / Regionen aufhalten. Erfahrungsgemäß beschränkt sich ihre Anzahl auf etwa 1 Promille der Bevölkerung (z.B. auf 150.000 SalzburgerInnen kommen durchschnittlich 150 Notreisende, die sich im Stadtgebiet aufhalten, siehe dazu: Schoibl 2013)
• Mit wenigen Ausnahmen handelt es sich bei dieser Form der Armutsmigration um jeweils temporäre Aufenthalte in den Regionen des industrialisierten Westens. Ausnahmen dazu sind etwa Roma-Familien, die bereits seit Jahren unterwegs sind, nach einem längeren Aufenthalt in Italien nun in Vorarlberg von Stadt zu Stadt ziehen und eher keine Rückkehroption mehr verfolgen (vgl. Erika Geser-Engleitner 2017). Auch aus Wien werden einzelne Fälle berichtet, die begonnen haben, sich eher dauerhaft anzusiedeln. Unabhängig von dieser Bleibe-/Rückkehroption kann festgestellt werden, dass die Betroffenen sich mit Betteln oder Gelegenheitsarbeiten, mit Zeitungsverkauf oder Erntehilfe beschäftigen, um in relativ kurzer Zeit ein Handvoll Bares zu erwerben, mit dem sie sich und ihre Familienangehörigen auf absehbare Zeit versorgen können.
• Die vorliegenden Untersuchungen legen nahe, dass der Großteil der Notreisenden über keine adäquate Ausbildung verfügt. Bei vielen Notreisenden ist weiters ein eher bedenklicher Gesundheitszustand zu beobachten, sodass eine reguläre Beschäftigung eher ausgeschlossen ist. Dementsprechend sind sie vorwiegend mit Betteln oder Zeitungsverkauf beschäftigt.
• Die Notreisenden verfügen über keine ausreichenden Kenntnisse der deutschen oder englischen Sprache. In der Regel können sie auch auf keine privaten Netzwerke zurückgreifen, die ihnen in der Zeit ihres Aufenthalts Unterkunft oder weitergehende Unterstützung anbieten könnten. Aufgrund ihrer extremen Armut und der äußerst eingeschränkten Verdienstmöglichkeiten sind sie zur Abdeckung ihrer physischen Bedürfnisse gänzlich auf Hilfe angewiesen. Das betrifft in erster Linie: Unterkunft, Verpflegung, Hygiene und medizinische (Notfall)Versorgung etc.